Donnerstag, 22. Februar 2024

Nicht anders sind immer nur die Anderen


Ich habe auf diesem Blog schon einmal etwas über den Soziologen Georg Simmel und das von ihm beschriebene Spannungsverhältnis zwischen Abgrenzungs- und Zugehörigkeitsbedürfnissen geschrieben. Individuen sind demnach immer auf Beides konzentriert: Wie die Anderen zu sein und nicht wie die Anderen zu sein. Dass das so ist, zeigt sich zum Beispiel an der eigentlich widersinnigen Tatsache, dass Anders-Sein immer nur in seinen sozial anerkannten Formen attraktiv erscheint. Kauzige Universalgelehrte oder Künstlerinnengenies sind nach landläufiger Meinung reizvollere Archetypen als z. B. durch Armut erzeugtes Außenseitertum. Dass wir Identitäten überhaupt ablehnen können, ohne diese selbst zu verkörpern, hat mit sozial vorgegebenen Vorstellungen darüber zu tun, welche Abweichungen erstrebenswert sind und welche nicht. 

Nietzsche studieren > Keine Manieren 

Ein verwandtes Paradox zielt auf den Wunsch, anders zu sein, der wenn nicht als anthropologische, so vielleicht zumindest als eine soziale Konstante verstanden werden kann. Distinktion konstituiert Identität. Wenn man damit aber von einer Verallgemeinerung des Anders-Sein-Wollens auf alle Teilnehmerinnen einer Gesellschaft ausgeht, wäre authentisches Anders-Sein, dann nicht nur noch über ein Nicht-Anders-Sein-Wollen zu haben? Und wäre dieses Nicht-Anders-Sein-Wollen, wenn wir Simmel folgen, nicht seinerseits wieder ein Anders-Als-Die-Außenseiter-Sein-Wollen? 

Raus aus der Misere führt (vielleicht) nur die Indifferenz. Ein naives Anders-Als-Die-Leute-Sein-Wollen-Die-Zwischen-Gewöhnlich-Und-Anders-Unterscheiden.

 


 



Samstag, 31. Dezember 2022

Silvia wird 23

Ich schrieb auf diesem Blog einmal etwas über Neujahrsvorsätze. Resümee damals: Sie können ein bewährtes Mittel zur Selbstberuhigung sein, das aber dort an Grenzen stößt, wo tatsächlich ein ernstgemeintes Verlangen nach Selbstveränderung besteht. Dass es nicht nur verdächtig, sondern auch riskant ist, den Beginn des Projekts "Ein besserer Mensch sein" in die Zukunft zu verlagern, ist ziemlich einleuchtend und als Erkenntnis eher banal. Vermutlich lässt sie sich auch deshalb so problemlos in Selbsthilfelosungen wie "Lebe im hier und jetzt" umformulieren. Indem der damalige Blogeintrag die Hohlheit und Geschwätzigkeit von Neujahrsvorsätzen bemängelte, hat er in gewisser Weise Kalenderspruch gegen Kalenderspruch gestellt. Dank der charakteristischen Beliebigkeit solcher Floskeln, auch kein großer rhetorischer Aufwand. Meinem Vergangenheits-Ich, das sich so wunderbar darauf versteht den Common Sense zu beißender Gesellschaftskritik aufzublasen, war sie oft das wichtigste Werkzeug.

https://knusperbroiler.blogspot.com/2012/01/silvia-wird-12-oder-der-post-der.html




Freitag, 16. September 2022

Meeraufwand

Das Serienpublikum schimpft und jubelt dieser Tage über die bizarre Sondersituation, von gleich zwei großen Fantasystoffen heimgesucht zu werden. House of the Dragon ist eine, vom Autor begleitete, Verfilmung des Buches Fire & Blood aus dem A Song of Ice and Fire-Universum. Rings of Power eine Mittelerdeserie, die auf alles und nichts referiert. Ich schätze diese Informationen reichen aus, um einen berechtigten Verdacht davon haben zu können, welche Serie gerade kontroverser diskutiert wird. Aber warum ist das eigentlich so? 

Um diese Frage zu beantworten, kann man ganz vorne anfangen und sich überlegen, was künstlerische Fiktionen überhaupt für verwunderliche Dinger sind, mit ihrer Aufgabe uns (im Idealfall) auf besonders ästhetische Art und Weise anzulügen. Das hat vor zweihundert Jahren zumindest ein schlauer Dichter getan und in der Folge, die sogenannte Theorie von der Suspension of disbelief aufgestellt. Diese geht davon aus, dass sich Menschen mehr oder weniger bewusst auf eine Fiktion einlassen müssen, ohne dabei das Wissen aufzugeben, dass es sich dabei um eine Unwahrheit handelt. Dieser Pakt mit einer Geschichte kann und muss zu bestimmten Bedingungen geschlossen werden. Zum Beispiel darf eine Fiktion nicht völlig unzusammenhängend sein, sondern muss ihre eigenen Gesetze kultivieren, an denen sich Betrachterinnen orientieren können. Ovid beginnt seine Metormorphosen mit dem schicksalshaften Satz: 

"Ehe es Meer, Land und den allumschließenden Himmel gab, hatte die ganze Natur ringsum einerlei Aussehen; man nannte es Chaos: eine rohe, ungeordnete Masse, nichts als träges Gewicht und auf einen Haufen zusammengeworfene, im Widerstreit befindliche Samen von Dingen, ohne rechten Zusammenhang"

Und muss diesen Zustand gleich darauf schon wieder aufgeben, um in eine Fiktion überwechseln zu können, die der orientierten Betrachtung fähig ist. 
Normalerweise spricht man hier von der Konsistenz eines Kunstwerkes. Ein Qualitätskriterium das so großen Stellenwert genießt, dass inkonsistente Werke eigentlich nur dann eine Chance auf Wertschätzung haben, wenn sie den Regelbruch ganz bewusst vollziehen um dadurch lediglich auf einer höheren Ebene konsistent zu sein. 

In der Popkultur haben Begriffe wie "kanonisch" oder "lore" einen neuen Stellenwert. Sie zielen auf ein Konsistenzbewusstsein, dass die Rahmen der Kunstwerke oft weit überschreitet. Nicht selten auch die Kunstgattungsgrenzen, wie im Fall von HotD und RoP. Ich glaube, dass die Forderung nach Konsistenz in dieser Breite nur ästhetisch gerechtfertigt werden kann, wenn man dazu übergeht, den Verbund dieser Geschichten – das Universum, wenn man so will – selbst als Kunstwerk zu begreifen. Hier kann man einwenden, dass das weder eine große Umstellung, noch ein moderner Schritt ist. Begriffe wie Gesamtkunstwerk sind schließlich nicht neu und die Kunstgeschichte ist voll von Strömungen und Schulen, die sich kollektiv bestimmten Regeln unterwerfen. Recht neu scheint hier nur zu sein, dass sich der Anspruch der werkübegreifende Konsistenz auf die Ebene der Wordbuildings ausweitet. Was die kreativen Möglichkeiten natürlich in einer anderen Weise einschränkt als in der Frage, welche Motive und Themen ich bearbeite oder wie ich welchen Pinsel halte. Anders bedeutet dabei natürlich nicht "schwerer" oder "leichter", aber eben "anders". Auch hier kann man ältere Erzählungen ausmachen, die schon in dieser Tradition standen, bevor sie eine Tradition war, wie den Cthulhu-Mythos. Alles in allem scheint das aber eine Verlagerung von Konsistenzbewusstsein zu sein, die sich erst in den letzten Jahrzehnten in bedeutsamer Weise durchgesetzt hat. 

Hier kann man natürlich fragen, was das mit den darunter liegenden Geschichten macht und ob es aus Betrachterinnensicht überhaupt langfristig attraktiv sein kann, die Autonomie vieler Einzelkunstwerke gegen ein konsistentes Gesamtkunstwerk einzutauschen. Wenn die Fiktion in der Beurteilung immer erst daraufhin abgefragt werden muss, wie konsistent sie sich ins Gesamtgefüge eingliedert, ist damit möglicherweise irgendwann ein Grad der Verallgemeinerung erreicht, auf dem die Einzelkunstwerke zu bloßen Dienstleistern ihrer Universen werden. Damit ist gemeint, dass bestimmte Serien/Filme/Bücher primär noch die Aufgabe erfüllen, Arbeit am Gesamtkunstwerk zu leisten. Dieses zu erweitern, zu modifizieren, weiter auszuleuchten. Diese Tendenz zeichnet sich nicht nur in den Pfadabhängigkeiten der expandierenden Universen ab, in denen immer weniger kreative Entscheidungen von den einzelnen Erzählungen selbst getroffen werden können, sondern auch an den Anspruchshaltungen, die schon heute bestehen. Man solle einmal eine Serie über X machen, man solle doch nochmal genauer zeigen, wie das damals mit Y war, man könne doch auch einmal den Ort Z auf die große Leinwand bringen, das würde sicher ganz atemberaubend. 

Hier kann man sehen, dass der Fokus des Konsistenzbewusstseins auf gattungsübergreifendes Worldbuilding in eine Anspruchshaltung führen kann, die immer schon vorher bescheid weiß, was in neuen Geschichten zu lesen oder zu sehen sein wird bzw. sein sollte. Dass so etwas in kreative Sackgassen führen kann, sieht man nicht zuletzt an der Verlegenheitsentscheidung von Disney, im Star Wars Universum zwischen canon und legends zu unterscheiden. Anders hätten die damals geplanten Fortsetzungen von Episode 6 einfach nicht mehr überraschen können. Fragwürdig an dieser Geschichte ist nicht nur, dass Fiktionen teilweise mit Qualitätskriterien beurteilt werden, die nicht zwangsläufig etwas über die Stärken und Schwächen des Kunstwerks an sich aussagen müssen, sondern auch, dass Institutionen relativ willkürlich, darüber entscheiden können, an welche Erzählungen diese Ansprüche gelegt werden dürfen und an welche nicht. 

Das wird nirgendwo so deutlich wie an der unterschiedlichen Beurteilung von HotD und RoP. Beide Serien entfernen sich an wesentlichen Stellen von ihren Vorlagen. Die fehlende Buchnähe, die der Mittelerdeserie als Schwäche ausgelegt wird, gibt bei HotD allerdings Anlass zu Spannung. Das hat damit zu tun, dass der Autor der Vorlage Fire & Blood, diese im Buch als unsichere Erzählungen und Legenden markiert hat, während die Serie nun erzählen soll, wie es wirklich war. Dadurch muss in den Serien kein Frame ausgetauscht werden. Trotzdem verändert die Entscheidung eines Mannes grundlegend, wie das Verhältnis von Buchvorlage und Verfilmung am Ende bewertet wird. 

Wollen wir das? Wollen wir unser Kunsterlebnis wirklich immer darauf befragen, was in anderen Serien, Filmen, Comics, Videospielen oder Büchern passiert ist? Und fühlt es sich nicht irgendwie nach Betrug an, dass Einzelpersonen oder Konzerne dann trotzdem noch die Hälfte eines Universums mit einem Fingerschnipsen auslöschen können, wie so ein schlecht geschriebener Comicbösewicht? 

Ich für meinen Teil mag keine schlecht geschriebenen Comicbösewichte und ich mache mir zwar gerne Mehraufwand, aber kein Meer von Aufwand.

Donnerstag, 15. September 2022

Resilienz, Schmesilienz

 Die Welt und die Menschen, die da sind und die Menschen, die nicht da sind und die unerwünschten Veränderungen, die eintreten und die erwünschten Veränderung, die ausbleiben und die schlechten Erinnerungen, die nicht gehen wollen und die guten Erinnerungen, die nicht wiederkehren wollen. Sie alle zusammen vermischen sich und formen die gewaltigste Wolke.
Anfangs durch die vielen Farben von Erinnerungen, Menschen und der Welt durchzogen winden sie sich im bunten Farbenspiel umeinander, rotieren aufwärts und werden dabei immer schneller und immer hungriger. Die Fäden aus samter Watte nähren sich gierig von Wasser, Luft und Leben, reißen alles in ihre hohlen Mägen, gedeihen und wachsen und wachsen, während die Mägen immer größer werden. Ihre Nahrung floriert mit jedem Schritt, jeder Tat, jedem Gedanken und jeder Wahrnehmung.
Weiter, höher bäumt sich die Wolke auf und das Rot will zum Blau, das Lila zum Weiß und jede Farbe sucht sich stetig neue Partner im wildem Sturm der Zeit, so dass am Ende nur ein dunkles Grau verbleibt. Mit einem Knall, dem Höhepunkt erreicht, fällt sie in sich zusammen, weil die Last von hohlen Mägen nicht mehr getragen werden kann. In wenigen Jahren, einem Augenblick, vom prächtigen, farbenfrohen Turm zum grauen Moloch einer fetten und flachen Wolke, die zäh über dem Menschen schwebt und sich kaum vom Fleck rühren kann. 
Kaum merklich tippt ihr erster Tropfen auf dem Menschenkopf.
Und dann ein Weiterer. 
Es ist und wird immer nur ein Tropfen sein, der zeitgeich aus der Wolke kommt. Die Ersten sind kaum spürbar, die Nächsten werden lästig, die Nächsten der Nächsten offenbaren die Resilienz des Menschen. 

Erstellt mit Mittelreise KI


Die erste Landschaft, die vor dem Mensch erscheint ist die Akzeptanz. Ein steiler, schier unüberwindbarer Hang, fast so gewaltig, wie die Wolke selbst. Dahinter erstreckt sich weder Erfolg noch eine Ebene. Vielmehr ein Auf und Ab von Bergen, Tälern und Hügeln. So leicht ist es doch durch Achtsamkeit Akzeptanz aufzubauen, muss sich der Mensch doch nur bewusst werden, dass die größte Wolke über ihm steht und es stetig tropft. Wie schwer kann das sein?

Und es tropft.

Hat der Mensch den Hang überwunden und findet sich im mühseligen Land des Optimismus wieder. Hinter einem so steilen Hang kann doch nicht noch einer warten, müssten die Menschengedanken lauten. Immer einen Schritt vor dem anderen setzen, das nächste Tal als Belohnung, den nächsten Berg als endlich ansehen. Zuversicht, im Anbetracht einer endlosen Landschaft und einer gigantischen Wolke, die stets tropft, zu entwickeln, wird der Mensch doch wohl hinkriegen?

Und es tropft.

Der Grundstein für die seelische Widerstandsfähigkeit ist die Selbstwirksamkeit, die sich als gewaltiger, reißender Fluss zwischen ihm und dem Weiterkommen stellt. Der Mensch muss an die eigenen Fähigkeiten glauben. Die Fähigkeit als kleines, erschöpftes Wesen durch etwas schwimmen zu können, das in einer Armlänge mehr Energie vereint, als sein ganzer Körper aufbringen kann. So schwimme du kleiner Mensch, Schwimmen wurde doch jedem beigebracht?

Und es tropft.

Vor völliger Erschöpfung fast zusammenbrechend, kriecht der Mensch an den felsigen Strand seiner Eigenverantwortung. Pitschnass und keuchend wird es doch ein Leichtes sein, sich in dieser Lage nicht als Opfer der Umstände zu sehen, sondern vielmehr als Ursache. Wer diesen reißenden Fluss einst angelegt hat, wird sicherlich auch sein Ufer überwinden können?

Und es tropft.

Tausende Krabben am Strand beißen, klammern und zwicken mit ihren Klauen in die Menschenniere. Er schreit auf vor Schmerz, kann sich kaum noch halten. Zieht sich von Stein zu Stein, von Krabbe zu Krabbe. Vor lauter Leid bemerkt er nicht, dass die Krabben die Landschaft sind, die Netzwerkorientierung. Siehe die, die dir fast deine Bauchdecke durchbohrt haben, doch bitte als Freunde an, die dir Kraft schenken wollen für deine Krise. Ist es wirklich so schwer ihnen freundschaftlich die Klaue zu reichen?

Und es tropft.

Hinter dem Krabbenmeer ersteckt sich endlich die Ebene der Lösungsorientierung. Hier ist der Mensch nun. Diese Beine tragen nicht, diese Armen werden schwer. Kein Baum, kein Strauch, kein Berg, kein Schnee, keine Gras, kein Nichts. Nur flach und Erde. Verwundet und am Ende muss sich doch ein Weg finden, der dem Menschen hilft wieder an Stärke zu gewinnen. Es ist für den Mensch kein Ding der Unmöglichkeit einen Weg hier rauszufinden, oder?

Am Ende ist ein Horizont zu erkennen und der Mensch sackt zusammen, fällt auf die Knie. Schaut sich nach vorn um zum Nichts und zum Horizont. Er ist leer, die Landschaft fühlt sich leer an. 
Keine steilen Hänge, Berge, reißenden Flüsse oder Krabben mehr. Aber auch kein Gefühl. Er dreht sich in die andere Richtung und ist versucht umzukehren. Lieber das alles noch einmal durchleben, als das Nichts zu spüren. 

Langsam rafft er sich auf und setzt einen Schritt zurück in Richtung Krabbenmeer, als er es endlich realisiert. 

Und es tropft nicht mehr.



Mr. K



Sonntag, 11. September 2022

Niemals Spaghetti

So ziemlich jeder Mensch wollte in seinem Leben schon einmal eine Spaghetti sein. Lasst mich gern detaillieren, was so ziemlich jeder Mensch bedeuten soll: so ziemlich jeder Mensch also, der im Leben keine Probleme hat. Keine Probleme zu haben, ist, ich gebe euch recht, genau so undetalliert wie die erste gewagte Aussage. Sie ist, man könnte sagen, ja, problematisch. Vor allem für den Autor, der in dem Fall nun leider ich selbst bin.
Aber hat der Autor deswegen Probleme?
Nein. 
Und wollte er in seinem Leben schon mal eine Spaghetti sein?
Nun. Ja, unterbewusst wollte er das sicherlich damals sein. 
Wir fragen uns natürlich jetzt warum der Autor problematische Aussagen treffen kann, ohne Probleme zu haben und das obwohl er, wenn man sich mal die alten Einträge auf dieser famosen Blogseite so durchliest, in jedem Fall ein paar Probleme haben muss, denn nur jemand mit viel Fusilli im Gehirn kann sowas bewusst veröffentlichen wollen, ob nun ernsthaft oder ironisch spielt dabei keine Rolle. Ich bring es mal gekonnt auf den Punkt: er hat also Probleme, aber keine Probleme.
Probleme hat jemand, der zum Beispiel im Geburtslotto verloren hat (was übrigens so ungefähr 91% aller Kinder sind, die am Geburtenlotto teilnehmen, was übrigens so 100% der Kinder sind. Quellen hänge ich bewusst nicht an, aber wie man als knorke Socke heute sagen würde: vertrau mir Bruder), oder der am mittlerweile gestrigen Tage vor etlichen Jahren das Unvergnügen hatte, sich in zwei zwillingsgleichen Spaghettipackungen aufzuhalten, die mit fieser Bolognese bestrichen worden, oder jemand der weder sein zugehöriges Pesto noch seine Beilage kennt, oder jemand der im sprudelnden Salzwasser vergessen wurde, nur halb gekocht wurde, auf einer Seite hart und auf der anderen Seite weich ist und damit ungenießbar für die Gesellschaft.
Das ist Pasta mit Problemen. Das sind Menschen mit Problemen

Hätten wir also ein für allemal geklärt, was Probleme sind und was sie nicht sind. Puh, war ein hartes Stück Rigatoni bis dahin. Kommen wir aber ohne Umschweife zur Kernaussage zurück, die wir aufgrund der jetzt geklärten Nebenaussage viel besser verstehen können.
Hast du also keine Probleme, dann wirst du erstmal als stinknormale Pasta in die Welt gesetzt. Deine Nudelbäcker haben dich natürlich nicht vorher gefragt, ob du das überhaupt möchtest, aber das ist ein Thema für einen anderen Blogeintrag. (Hust, Mr M.). Die Welt oder Gott oder wer auch immer schenken dir ein wie auch immer geformtes teigiges Aussehen und du kannst relativ frei bestimmen, wie du es zu formen gedenkst. Irgendwann im Leben kommt die Zeit, wo man sich mit anderen Teigen messen muss und sich fragt: Warum sind manche Teige anderen Teigen so Farfallen und warum sehe ich eigentlich aus wie ein fettes Stück Tortiglioni Doppla Rigatura?!
Viel besser wäre es doch, wenn ich eine Spaghetti wäre, denn die sind dünn, sie mag absolut jeder und sie schlängeln sich gut durch Münder und, am Wichtigsten, durch die Gesellschaft der Pastaliebhaber. Das ist schön und gut und niemand kann dir vorschreiben welche Form du annimmst, aber wer schaut sich heutzutage noch einen Teller Spaghetti an und schreit vor Verzückung auf was für ein aufregendes Nudelgericht dies doch sei und wie spannend und interessant das ist? Genau, so ziemlich niemand.

Nehmt euch den Rat des Autors an und werdet die Nudel, die ihr schon immer sein wollt und lasst euch nicht sagen, dass ihr als Sedani Rigati nicht gut zu gabeln seid, ihr als Fusilli zu viele Windungen da oben habt oder euch als Tagliatelle in zu viele Sachen verstrickt. 
Der Autor selbst identifiziert sich gern als Gnocchi und ist stolz darauf. Auch wenn er selbst Nudel-Gnocchi ziemlich sinnlos findet und eher gern eine Gnocchi di Patate wäre, einfach um mal wieder die besonderste Schneeflocke am Pastahimmel zu sein, weil er nicht aus gewöhnlichem Hartweizengrieß besteht, sondern aus plumpen Kartoffeln. 
Aber sei es drum. Vergesst niemals eure frühere Spaghetti und werft nicht jede von ihnen gleich an den Kühlschrank, sondern gebt ihnen die Chance sich zu einem wunderschönen Farfalleschmetterling zu entwickeln. 

Mr. K.






Dienstag, 26. Juli 2022

Zusammen atomisieren

Als Jugendlicher habe ich mich eine lange Zeit der sogenannten schwarzen Szene zugehörig gefühlt. Ich glaube im Nachhinein, dass das viel mit der pubertären Geste des "Niemand versteht mich so richtig" zu tun hat, die dort zelebriert und konserviert wird. 

Man kann paradox finden, dass sich so ein Gedanke dazu eignet Menschen zusammenbringen, am Ende bestätigt sich hier aber nur, was der Soziologe Georg Simmel schon vor über hundert Jahren festgestellt hat: Individualität ist nie das bloße Sich-Unterscheiden von anderen, sondern immer ein Austarieren von Abgrenzung und Nachahmung. Da wir bei allem Individualitätsbedürfnis immer noch soziale Wesen sind, würde totale Verschiedenheit für die meisten wohl den (nicht nur sozialen) Tod bedeuten. Um dieses Spannungsverhältnis zumindest ein wenig zu lockern, bieten sich Gedanken und Weltbilder an, die, wenn nicht absolut individuell so doch zumindest gruppenspezifisch sind. Man kann sich dann immerhin noch als Teil einer Familie, eines Freundeskreises, einer Subkultur, eines Sportvereins, einer Religion, einer Generation oder eines Fandoms von anderen abgrenzen. 

Ich glaube die Phrase "Niemand versteht mich so richtig" ist dafür sogar naheliegend, weil sie die Möglichkeit echter Verständigung zwischen Menschen von vorneherein ausschließt und damit zumindest theoretisch Leute zusammenbringen kann, die sich eigentlich nicht so viel zu sagen haben. Neben dieser sozialen Komponente lässt sich darin auch manchmal etwas Verherrlichendes erkennen. Das eigene Nicht-verstanden-werden wird mit einer gewaltigen inneren Komplexität erklärt, die niemals ganz von Außen erfasst werden kann. Wenn nicht das höchste, so ist man doch zumindest ein besonders kompliziertes und tiefgründiges Wesen. 

Der Satz mag banal und kindisch sein, bezieht sich aber dennoch auf ein sehr reales Unbehagen. Es ist der berechtigte Zweifel an der Möglichkeit jemals ganz zu seiner Außenwelt durchzudringen. Die Frage ob man an den Grenzen der Sprache oder an denen der eigenen Artikulation oder doch an der Umwelt scheitert, die partout nicht verstehen will, ist dabei wahrscheinlich sogar noch vergleichsweise unkompliziert. Interessanter könnte sein darüber nachzudenken, wie es unsere Gesellschaft auf ein derartiges Effizienzniveau bringen konnte, wo die Nebelwälder zwischen uns doch so voller Illusionen und Missverständnisse sind.  

Dieses Auf-sich-selbst-zurückgeworfen-sein könnte zudem eine tröstliche Seite haben. Eine schizophrene, aber doch auch irgendwie beruhigende Bestätigung des Satzes, dass sich jeder selbst der Nächste ist. Leider scheint auch das Unternehmen zu sich selbst durchzudringen, nicht unbedingt von Erfolg gekrönt. Die Sprache, die in Gedanken genauso abstrakt bleibt wie im Sprechen, macht uns wieder einen Strich durch die Rechnung. Zurück bleibt ein atomisierter Ich-Ozean, in dem niemand je etwas sicher über jemanden weiß.  

Vielleicht ist das das große Geheimnis unserer Sozialität: Der Wunsch sich in der Gruppe ein paar Stunden darüber hinwegzutäuschen, dass alle Brücken abgerissen sind. Oder, wenn das schon unmöglich geworden ist, zumindest gemeinsam atomisiert zu sein. 




Montag, 18. Juli 2022

Sommerdepressionen

Was ist der Sommertag nur für eine phlegmatische Raum-Zeit-Gattung? Mitunter hat man den Eindruck, die Stunden selbst hängen am klebrig-geglommenen Asphalt fest. Ich will in den Sommernachtstraum segeln, aber das Sonnenlicht – im Winter unser aller Rettungsanker – muss sich am Meeresboden verhakt haben. 

(Auf der lauwarmen Brühe eines viel zu langen Juli-Tages festsitzend gesendet)